Was treibt über 40 NHL-Scouts nach Wien?
Nachwuchs 2. Dezember 2015 Eishockey-Magazin 0
Über 40 Scouts aus der National Hockey League haben sich für die 2016 IIHF U20 Weltmeisterschaft Division I Gruppe A von 13. bis 19. Dezember in Wien angesagt. Jeder NHL-Klub schickt zumindest einen Vertreter nach Österreich, der je nach Belieben zwei bis drei Turniertage live mitverfolgt.
Wer lockt diese Scouts nach Kagran und welche heutigen Stars haben diese Turniere bereits durchlaufen? Der Österreichische Eishockeyverband konnte für den Zeitraum der IIHF U20 Weltmeisterschaft Division IA Bernd Freimüller als Experten gewinnen. Der ehemalige NHL-Scout weiß genau, was seine früheren Kollegen an den Titelkämpfen interessiert und welche Ziele sie dabei verfolgen.
Ein Unterschied zum Seniorenniveau ist ein gewaltiger: Während dort ein Abstieg wenig attraktive Spiele gegen die Ukraine, Südkorea und Polen nach sich zieht, umfasst die IIHF Top Division bei den Junioren nur zehn Teams. Etablierte Eishockeynationen wie Lettland, Dänemark und das ewige Fahrstuhlteam Deutschland wechseln sich zwischen den beiden höchsten Spielklassen ab – Länder also, die über die Jahre doch einige NHL-Spieler herausgebracht haben.
Im Allgemeinen ragen die Spitzenspielern dieser Länder früh heraus, werden daher also schon bald in den U20-Teams eingesetzt und können es so auf drei oder sogar vier Weltmeisterschaften bringen. Welche ehemaligen und heutigen NHL-Cracks waren auf diesem Niveau also tätig?
Bei Österreich natürlich Thomas Vanek, der in seinem Draftjahr 2003 Österreich in Bled in die A-Gruppe schoss. Beim 6:2 gegen Dänemark ließ eine Truppe um ihn, Oliver Setzinger, Thomas Koch, Daniel Welser und Manuel Latusa dem Gegner keine Chance, obwohl dort mit Frans Nielsen (New York Islanders) einer der noch heute besten NHL-Defensivcenter neben Peter Regin (Ottawa, New York Islanders, Chicago) zum Einsatz kam. Was unterschied Vanek damals von seinen durchaus auch begabten Nebenspielern? Eine unglaubliche Antizipation, er wusste stets, wo der Puck hinkommen würde und konnte mit einer hervorragenden Hand-Eye-Koordination für Tore aus dem Nichts sorgen. Ich kann mich heute noch an einen immens schwierigen Abfälscher im Jahr zuvor in Kapfenberg erinnern, ein Tor also, das 14 Jahre zurückliegt.
Michael Grabner hingegen bestritt nur eine U20-WM und diese in seinem Draftjahr: Beim Turnier im Jahr 2004 in Sheffield reichte es für eine Truppe mit ihm, Thomas Raffl, Andreas Nödl und Rafael Rotter lediglich zu einem dritten Rang bei zwei Niederlagen gegen Norwegen und Kasachstan. Grabner spielte da schon in seiner zweiten WHL-Saison bei den Spokane Chiefs, war aber ein Jahr zuvor noch nicht draftberechtigt: Im Gegensatz zu Vanek hat er ein spätes Geburtsdatum, sprich nach dem 15. September geboren, und daher eine Saison in der Warteschleife.
Für Michael Raffl war bei seinen Weltmeisterschaften der Draft noch kein Thema. In Torre Pellice (2006) war er eher ein Mitläufer, in einer starken Truppe in Bad Tölz (2007) dann aber schon ein Schlüsselspieler. Bei all seinem augenfälligen Talent war der Villacher unter den Scouts damals kein Thema, erst seine Jahre in Leksands machten ihn zum richtigen Profi.
Bei den Dänen waren neben den angesprochenen Nielsen und Regin auch einige andere NHL-Spieler im Einsatz. Vor allem beim Heimturnier in Aalborg (2008) boten die Dänen eine starke Truppe auf: Im Tor der heutige Anaheim-Star Frederik Andersen, in der Abwehr Philipp Larsen (später Dallas und Edmonton) und Oliver Lauridsen (später Philadelphia) sowie als Teamleader Lars Eller (heute Montreal). Doch gerade Eller verlor im entscheidenden Spiel um den Aufstieg gegen Österreich völlig die Nerven und zog eine Strafe nach der anderen. Aus heutiger Sicht unglaublicher Endstand: 8:3 für unser Team!
Deutschland bot bei seinen Auftritten in der Zweitklassigkeit natürlich auch immer spätere Stars auf: Christian Ehrhoff (bis heute über 750 NHL-Spiele), Christoph Schubert (später Ottawa und Atlanta) und Marcel Goc (636 NHL-Spiele bis zu seiner Rückkehr im letztem Sommer) standen einem Aufstieg unseres Teams bei der Heim-WM in Kapfenberg im Jahre 2001 im Weg. Tobias Rieder, heute ein wertvoller Spieler für die Arizona Coyotes, bestritt gleich vier Juniorenturniere für Deutschland, darunter seine letzte gegen Österreich in Garmisch-Partenkirchen (2011). Endstand im direkten Duell: 11:2 für die Deutschen.
Welchen Status hat also ein Turnier wie das in Wien für die NHL-Scouts? Ein anderes als das der Top Division – dort kennt man alle Spieler bereits, viele sind davon schon gedraftet, eigentlich ist nur eine Handvoll zu beobachten. In der Division I stehen die Cracks während der Saison weit weniger im Fokus der Scouts. Bei Ländern wie Deutschland oder Lettland bildet das Turnier eine Mixtur aus Follow-Up-Reports von bereits bekannten Kräften sowie dem Scannen von unbekannten Spielern. Vor allem die Spieler, die zwischen dem 16. September 1997 und dem 15. September 1998 geboren sind, werden heuer genau unter die Lupe genommen, schließlich ist das ihr erstes Draftjahr. Cracks in ihrem letzten Juniorenjahr (1996) müssen dagegen sehr herausstechen, um Eingang in die Notizbücher zu finden.
Die 80-jährige Scouting-Legende Göran Stubb, der das Turnier für das NHL Scouting Bureau beobachtet, kennt zwei Cracks bereits genau: „Tobias Eder aus Deutschland und Kristians Rubins aus Lettland sind zwei Spieler, die wir auf unseren Listen führen.“ Eines haben der spielstarke Center Eder und der baumlange Defender Rubins aber gemein: Aufgrund von Verletzungen sind sie ein Fragezeichen für Wien, Eder laborierte zuletzt an einer Knieverletzung, Rubins meldete sich erst vor kurzem von einer Schulterverletzung zurück.
Arizona-Scout Robert Neuhauser war schon öfters im Eissportzentrum Kagran zu Gast. Er fühlte dort nicht nur David Kickert auf den Zahn, sondern beobachte im CHL-Spiel im Sommer auch das finnische Riesentalent Jesse Puljujärvi von Kärpät Oulu. Der in Brünn lebende Tscheche schätzt nicht nur die kurze Anreise, sondern auch die Halle: „Warm, gute Sichtbedingungen – ein Toprahmen für so ein Turnier.“ Sollte Eder fit werden, würde Neuhauser ihn heuer zum ersten Mal beobachten: „Er spielt sonst in der deutschen Oberliga, ich würde ihn gerne auf einem besseren Niveau sehen.“ Dieses Niveau ist erst seit der Saison 2011/12 wieder garantiert: Seit damals gibt es nur einen „Pool A“, zuvor waren es für fast zehn Jahre zwei gleichwertige Gruppen mit je sechs Teams und jeweils einem Aufsteiger. Das sorgte nicht nur für Reisestrapazen unter den Scouts, sondern auch für ein sehr unausgeglichenes Niveau. Teams wie Japan, Großbritannien oder Litauen zogen die Turniere stets nach unten, pro Gruppe trafen eigentlich drei brauchbare Teams auf drei schwache.
Welche Rolle spielen eigentlich Ãœbersee-Cracks wie Mario Huber oder Dario Winkler für die europäischen Scouts? Wenn sie nicht von den nordamerikanischen Kollegen als „Must-Reports“ gekennzeichnet werden, keine besondere, allerdings ist das Turnier die einzige Chance, sich vor den europäischen Scouts zu präsentieren. Diese machen bei entsprechenden Leistungen durchaus Reports, haben allerdings keinen Grund, für Spieler, die außerhalb ihres Scouting-Bereichs agieren, auf die Barrikaden zu steigen.
Wer sind eigentlich die „Stars“ unter den Scouts, die nach Wien kommen? Sicher Hakan Andersson, der schwedische Scouting-Guru, der die Detroit-Talentepipeline mit Spielern wie Henrik Zetterberg oder Pavel Datsyuk füllte. Ross Mahoney ist schon seit Jahrzehnten für die Washington Capitals unterwegs, seit zwei Jahren ist er auch Assistant General Manager. An seiner Seite: Scout Steve Bowman, Neffe der NHL-Legende Scotty Bowman. Robert Kron (Carolina), Jiri Hrdina (Calgary), Frankie Musil (Edmonton) und David Volek (Vancouver) sind ehemalige NHL-Spieler mit jahrzehntelanger Scoutingerfahrung.
Doch nicht nur draftfähige Cracks werden beobachtet, Lettland etwa kommt mit drei im letzten Sommer gezogenen Spielern: Verteidiger Karlis Cukste und Stürmer Rudolfs Balcers werden vor allem von den San-Jose-Scouts auf ihre Fortschritte hin überprüft, beide wurden von den Sharks in der fünften Runde gedrafted. Dazu kommt noch Flügel Martins Dzierkals, ein Drittrundenpick der Toronto Maple Leafs.
Talente auf dem Eis, erfahrene Talentesucher auf den Tribünen – das Turnier in Wien ist ein Pflichttermin für alle österreichischen Eishockeyfans.
Vorbereitung auf die IIHF U20 Weltmeisterschaft, Division IA
06.-11.12.2015, St. Pölten/Österreich
08.12.2015, 16:30 Uhr: Österreich – Ungarn
09.12.2015, 12:15 Uhr: Österreich – Ungarn
Eintrittskarten und Ticketaktionen
Der Verkauf der Eintrittskarten begann am 29. Oktober. Die österreichischen Landesverbände, Mitglieder und Freunde des Österreichischen Eishockeyverbandes sowie Kinder, Jugendliche, Familien und ganze Schulklassen werden mit täglichen Aktionen und verbilligten Tickets zu dieser IIHF U20 Weltmeisterschaft in Wien eingeladen. An den beiden „Family Days“ (13. und 19. Dezember) erhalten Erwachsene mit Kindern einen stark reduzierten Paketpreis. Kinder bis zwölf Jahre haben an allen Spieltagen freien Eintritt.
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